Am Tag, bevor es soweit war, machte ich mir ein paar
Gedanken. Würden wir die Letzten oder die Ersten werden? Wie sind die
"Konkurrenten"? Ich sah dann aber davon ab, mir weiter den Kopf
darüber zu zerbrechen, was morgen wie passiert. Wo ist mein Handy... - ah da.
Wecker: 6:30. Gute Nacht.
Nach einigen Stunden geruhsamen Schlafes, in denen ich
völlig vergessen hatte, dass der Schülerzeitungswettbewerb heute stattfinden
sollte, wachte ich etwas durchgeistert auf. Es war ein eher verregneter
Samstagmorgen - so dunkel, dass man gar keine Lust hatte, sich aufzuraffen, zu
duschen und zu frühstücken, geschweige denn, nach Frankfurt auf die Buchmesse
zu fahren, mit der wir letztes Jahr schlechte Erfahrungen gemacht hatten. Aber
was macht man nicht alles für Ruhm und Anerkennung.
7:30 in der Früh. Fernseher aus, Jacke an, auf zum
Hauptbahnhof. Da die Zugfahrt nach Frankfurt an Besonderheiten relativ arm war,
gehe ich hier nicht tiefer in die Materie.
Zu erwähnen wäre vielleicht noch, dass morgens am
Darmstädter Hauptbahnhof sehr komische Gestalten ihrem Tagwerk nachgehen. Wir
warteten noch auf einige mitreisende Redakteure, als ein kleines Frauchen, mit
schwarzen, krausen Haaren, die mich an die Mutter von Daniela Katzenberger, nur
viel kleiner, erinnerte, auf uns zu kam.
"Entschuldigung, dürfte ich euch eine Frage
stellen?" - "Nur zu" entgegnete ich etwas verwirrt - Es wäre ja
nicht das erste Mal gewesen, dass sich Darmstadt als kulturelles Zentrum der
Bekloppten ins rechte Licht gerückt hätte. "Was ist eine Kuh auf einem Fahrrad?"
fragte die Frau, die mir bis zur Brust reichte, aber mindestens viermal so alt
war wie ich.
Da man als richtiger Großstadtmensch an geistig verwirrte
Menschen, die aus irgendwelchen Heimen abgehauen sind, gewöhnt ist - und nun
war ich mir sicher, dass die Gute eine solche Person war -forderte ich sie, so
trocken, wie ich konnte, auf: "Sagen Sie es mir?" - "Ein
Murat", sie ging und ließ acht Stencil-Redakteure und einen Lehrer zurück,
die sich nicht ganz darüber klar waren, über was sie jetzt machen sollten. Der
Witz war eigentlich zu flach, als dass er gut war, aber die Frau war auch
einfach zu ulkig, um nicht über sie zu lachen.
Wenn man über einen solchen "Witz" lacht, ist man
doch rassistisch, oder? Schlussendlisch kamen wir zu dem Punkt, dass wir
diesen, zugegebenermaßen wirklich verirrenden Vorfall mit peinlichem Schweigen
übertünchen und verdrängen würden. Das einzige Vermächtnis, was blieb, war hier
und da ein "Murat" in den Gesprächen, die wir untereinander an diesem
Tag führten. Es folgte meist ein kleines Lächeln des Gesprächspartners.
In Frankfurt, der schönen Bankenstadt, angekommen waren wir
erst mal voll innerlicher Ruhe, fest entschlossen, auf dem Bahnsteig zu warten,
bis sich die Menschenmassen, die sich auf der gepflasterte Oase inmitten eines
Schienenmeers drängten, die Rolltreppen hinauf gezwängt hätten. Genau so stell
ich mir die U-Bahn in Tokyo vor. Warten und warten. Da wir aber durch unsere
Schulbildung wissenschaftlich gut beobachteten, fiel uns dann doch recht
schnell eins auf: Die S-Bahnen fuhren im sehr kurzen Abstand zueinander in den
kleinen Messebahnhof ein. Alles Schall und Rauch, wir konnten nicht warten, bis
sich die Masse hinauf gequetscht hatet. Augen zu und durch.
Oben, im Torhaus der Messe, dass mehr an den
"Frauenknast", als an eine einladende Exhibitionsfläche erinnerte,
begrüßten uns nette, aber durchaus auch etwas einschüchternde
Sicherheitsmänner, die übrigens auch wunderbar in den Frauenknast gepasst
hätten. Ob die Pfleger im Frauenknast auch Frauen sind? Wie auch immer. "Taschen
öffnen bitte". Brav öffneten wir unsere Rucksäcke, Taschen und Herzen,
sodass die Sicherheitsmänner sicherstellen konnten, dass wir nicht
Rauchgasttacken auf den Stand der "Islamischen Republik Iran" verüben
konnten - hätten wir natürlich nie getan, niemals. Zum Stand der
Islamischen Republik aber später mehr.
Nun, nachdem wir offiziell keine Attentäter waren, durften
wir die Messehallen betreten. Die Verleihung des Hessischen
Schülerzeitungspreis, der von der Jugendpresse Hessen verliehen wurde, sollte
im "Raum der Symmetrie" stattfinden. Ich hätte einen Raum niemals so
genannt, aber das ich auch nicht meine Aufgabe. Vielleicht bekomm ich
irgendwann ja mal die Möglichkeit einen Kongressraum zu benennen, dann wird der
sicherlich anders heißen.
Da aber die Frankfurter Messe, nach dem Irrgarten aus Harry
Potter, der unübersichtlichste Ort der Nordhalbkugel ist, wussten wir erst mal
nicht wohin. Glücklicher Weise musste ein Mitarbeiter der Jugendpresse, ein
kleiner, schmaler Mann, der größer war, als die Frau von Bahnhof, aber durchaus
mit ihr verwand hätte sein konnten, ebenfalls zum "Raum der
Symmetrie" und führte uns dankenswerter Weise zum Mekka des Hessischen
Schülerjournalismus: Dem Raum der Symmetrie.
Pünktlichkeit ist der Schlüssel zum Erfolg und darum waren
wir nun auch eine ganze Stunde früher da, als wir es hätten sein müssen. Zum
Glück hat keiner angefangen rumzuquengeln, dass er oder sie jetzt auch hätte
länger schlafen können, was später bei der Preisverleihung schon wieder anders
aussah...
Es war noch wirklich viel Zeit, aber zu wenig, um ernsthaft
in die Messehallen zu gehen, so sah ich das. Andere sahen das anders. Also
teilten wir uns auf, ein Teil der Truppe machte sich auf, in einer dreiviertel
Stunde die erste Messehalle zu durchkämmen, während der andere Teil, die
Geruhsamen, zu denen ich mich jetzt auch mal zähle, im Café Platz nahmen.
Eigentlich hätte ich mir auch draußen was zu essen holen können, hatte ich aber
nicht, also war ich auf die Köstlichkeiten des sogenannten Cafés angewiesen.
Belegte Brötchen zum Spottpreis von 3,5 €. "Die Brötchen sind nicht
frisch, die sind aus dem Tiefkühlfach, schau mal wie die glänzen", raunte
der uns begleitende Lehrer.
Die Einschüchterung war doch ein herber Angriff auf das von
mir erworbene Produkt, aber ich war dann doch in meiner Kaufentscheidung
gefestigt genug, dem zu wiedersprechen. Das Brötchen war gut. Teuer, aber gut.
Um 10:30 durften wir dann die heiligen Hallen, den Raum der
Symmetrie betreten. Hiervor wurden uns aber noch Namensschilder ausgeteilt, auf
denen auch der Name der Schülerzeitung, für die man vor Ort ist, steht.
Natürlich haben die Menschen von der Jugendpresse, die Namensschilder der
wichtigsten Personen, von uns, vergessen. So mussten wir als ganz ohne das
Stencil Branding an den Feierlichkeiten, die uns bevorstanden, teilnehmen.
"Wenn die unser Namensschild schon nicht haben, haben die uns hoffentlich
wirklich nominiert" dachte ich für mich.
Es war noch leer im Raum der Symmetrie, was auch daran
lag, dass wir uns gleich vorgedrängelt haben. Namenhafte Gäste hatten sich
angekündigt, naja eigentlich nur die Kultusministerin Hessens, Nicola Beer, die
erst seit sehr kurzer Zeit im Amt ist, weil ihre Vorgängerin von ihrer Partei,
der FDP, aus dem Amt geekelt wurde. Das heißt, es war eigentlich niemand
bekanntes da, der schon etwas geleistet hatte. In die engere Auswahl, hätte es
wie gesagt Frau Nicola geschafft, aber aufgrund ihres Mangels an schulpolitischer
Erfahrung sehe ich davon ab, sie als "Wichtig" einzustufen.
In der Jury des Schülerzeitungspreis saßen neben dem
dicken Pressesprecher ihrer Eminenz, Frau Nicola Beer, diverse Journalisten und
Autoren, von denen ich persönlich noch nie was gehört habe. Was auch nicht so
wichtig ist, ich lese eigentlich nicht. Selber schreiben ist viel lustiger.
Nachdem die Arbeit der Grundschul-Schülerzeitungen und die
der Haupt- und Realschulen ausgiebig honoriert wurden, kamen wir dran. Man rief
den fünften Platz auf - nicht wir, schon mal gut. Man rief den vierten Platz
auf. Wir - gar nicht gut. „Wir spielen auf Sieg, nicht auf Platz“, sagte
einmal Frank-Walter Steinmeier.
Ein bisschen ungläubig begaben wir uns alle auf die Bühne.
Die Gewinner vor uns haben ziemliche scheiß Preise bekommen. "Nem
geschenkten Gaul schaut man nicht ins Maul" heißt ja ein altes Sprichwort,
aber ich fahre doch net mit 10 Redakteuren für insgesamt 100€ Nach Frankfurt
und das für 2 Tassen?! Nun ja. So ist das Leben, alles wird vom Markt geregelt.
Wir hofften, dass wir noch ein paar Worte sagen könnten, wie
wir dazu kamen die Zeitung zu machen und, und, und. Auch hätte es mich wirklich
sehr interessiert, das von Anderen zu hören. Dem war nicht so. Die Zeitungen
wurden von den drittklassigen Moderatoren, einem jungen Herren, der in Berlin
studiert, aber in der Jugendpresse Hessen ist und einer 17 jährigen Blondine,
die weder schauspielern, noch einigermaßen normal reden konnte, moderiert.
Ich bin ein schlechter Verlierer, aber damit hab ich kein
Problem. Wenigstens eine Hoffnung von mir hat sich erfüllt. Wir hatten die
hübschesten Redakteure. Die anderen waren teilweise schon sehr… speziell. Vor
allem einige Lehrer. Einer hatte einen Oberlippenbart, der sehr stark an den
erinnerte, den der Reichskanzler 1933 trug. Der Lehrer war auch etwas
autoritär.
Die Gewinne waren, wie ich schon anriss, wirklich...
komisch. Was sollen denn Viertklässler mit einem Workshop zu Filmeffekten in
Blockbustern im Filmmuseum. Der Journalistische Mehrwert lässt grüßen.
Wenigstens und das hob meine Laune ungemein, gab es Schnittchen. Nicht irgendwelche Schnittchen, sondern Subway Sandwiches. Da wir nicht gewonnen hatten, mussten wir schauen, dass wir irgendwie trotzdem von der Veranstaltung profitieren konnten. "Esst so viele Subs, dass die Fahrkosten wieder rein geholt sind". Gesagt getan. Jeder aß wenigstens fünf, die meisten aber sieben oder neun Subway Sandwiches. Die genaue Kalkulation verzichte ich hier mal aufzuführen, aber ich denke, wir haben unser Bestes gegeben, um die Fahrtkosten wieder rein zu hohlen.
Nachdem die Preisverleihung ein jähes Ende mit der
Viertplatzierung der Schülerzeitung Stencil genommen hatte und die Schnittchen
vertilgt waren, konnte jede Redaktion einige Worte mit der Kultusministerin
wechseln. Da keiner wusste, wann er eine Audienz bei der großen Ministerin hatte,
war es uns wichtigerer die Buletten-Sandwiches abzugreifen, als mit einer kaum
inhaltspregnanten Ministerin Worte zu wechseln. Das führte dazu, dass wir erst
mal übergangen wurden. Klamm und heimlich. Man machte nicht mal anstanden, nach
uns auszurufen. Egal. Es gab Schnittchen mit Buletten.
Glücklicherweise kamen wir dann doch noch zu unserem
Gespräch mit Frau Nicola. Ich habe versucht ihr zu erklären, dass die
Wirtschaft in Darmstadt sehr geschwächt ist. Wir haben kaum Anzeigen für die
Ausgabe, da muss sich was ändern. Sie freute sich und nickte. Wie eine Taube,
die Rattengift auf dem Luisenplatz aufpickt. Desweiteren führten wir vor,
welche Professionen es bei Stencil gibt: "Wir haben Layouter, Fotografen,
Comic-Zeichner, Redakteure für Online, für Print, Tonmenschen, und, und,
und". Frau Nicola entgegnete beeindruckt: "Das sind ja ganz schön
viele unterschiedliche Aufgabenbereiche". Für mich dachte ich, dass sie
wahrscheinlich aus ihrem Ministerium nicht gewöhnt ist, dass die Menschen
kompetenzorientiert arbeiten...
"Wie viele Leute seid ihr denn in der Zeitung"
fragte die Ministerin, mit der Intention, den halbtoten Smalltalk am Leben zu
halten. "30." - "Oh das sind aber viele"...Wieder hatte ich
eine schönte Antwort im Kopf: "Ja, das sind ganz schön viele, und die
wollen alle ernährt werden. Denken Sie, das geht mit zwei Tassen, einem
Blumenstrauß und Ihrem feuchten Händedruck? - Nein." Kaum konnte ich
meinen inneren Monolog fertig führen, da kam der biedere Moderator auf uns zu.
Also eigentlich kam er nicht auf uns zu, er drehte sich in unsere Richtung und
verzerrte sein kindliches Gesicht, damit es so aussah, als schaue er sehr
ernst. "Wir würden jetzt gerne weiter machen" - es gab nichts mehr
weiterzumachen.
Es langte mir, uns und allen. Wir gingen, aber nicht ohne
noch die letzten Sandwiches mitgehenzulassen. Der Raum der Symmetrie sah nach
dem Festmahl aus, als wäre eine Horde Barbaren hindurch gezogen, um die
Symmetrie des Raumes ein für alle Mal zu zerstören.
Wir ließen den Raum der Symmetrie zurück und begaben uns auf
die Messe, auf der Suche nach B-Promis, die wir aber nicht fanden. Wir fanden
was viel Besseres. Einen Bücherstand des Landes Montenegro. Ein Buch lachte
mich hier besonders an. So sehr, dass ich mich fast genötigt fühlte, es auf zu
schlagen - "Mein Kampf". Enttäuscht musste ich feststellen, dass der
Name, der das Buch zierte, wie so oft, nur eine "Quoten Hure" war.
Der Inhalt war, wie hätte man es anders erwartet, in einer mir nicht verständlichen
Sprache. Man hätte das Buch also auch " Moja bitka" nennen
können, ohne dass es einen signifikanten Einfluss auf die Verbindung von Titel
zum Inhalt gehabt hätte.
Weiter ging es zum Stand der Islamischen Republik Iran,
einem Staat, der die Demokratie und die Rechte eines Jeden würdigt und vom
großherzigen Ajatollah Chāmene'ī gelenkt wird. Er ist gegen
Homosexualität, aber hat nichts dagegen, wenn sich Männer einer Geschlechtsumwandlung
unterziehen. Soviel zum Vorwissen.
Im Gegensatz zu den Herrschern in der Heimat waren die
Herren (Es gab keine Frauen am Stand) sehr freundlich. Es gab sogar Goodies,
die wir auf der ganzen Messe vergeblich suchten (und sonst nur beim ZDF fanden,
die mal wieder zu viele GEZ-Gebühren hatten). Wir erhielten kleine Döschen mit
iranischer Verzierung. In dem Döschen waren Nüsschen, und etwas… Eingepacktes.
Meiner Meinung nach, ist das zwar ein Anteil zur
Untermauerung des Klischees, dass Menschen aus dem Morgenland nur Nüsse
futtern, aber was soll's, die Nüsschen waren lecker. Völlig im Freudentaumel
über die großzügigen Geschenke des Regimes wagten wir uns auch an den letzten
Inhalt der Büchse der Pandora. Eingepackt in silberglänzendes Papier - wir
trauten uns kaum es zu öffnen, weil wir zu ahnen schienen, was uns erwartet:
Ein weißes marshmallowähnliches Ding mit Pinienkernen versetzt. Das
silberne Papier war nur mit uns unbekannten Schriftzeichen bedruckt, die uns
nicht weiter geholfen haben, heraus zu finden, um was es sich bei dem Stoff
handelt. Schmuggelt das Iranische Regime mit den kleinen weißen Quadraten
angereichertes Plutonium aus dem Land? Man weiß es nicht. Nach reichlicher
Überlegung gaben wir dem Kind einen Namen: "Arak'akbara", zu Deutsch:
"Zeug, was schmeckt wie Kamel sein Fuß".
Nachdem die Namensfrage geklärt war, gingen wir zur
Verkostung über. Es hatte ein bisschen was von Dschungelcamp. Mit geschlossenen
Augen biss ich, in weiser Voraussicht, in den Würfel Arak'akbara. Es schmeckte
weniger wie ein Pinienmarshmallow, denn mehr wie eine genmanipulierte, mit
Kernseife eingeriebene Duftpinie, also extrem eklig. Nachdem wir uns alle vom
abstoßenden Geschmack des Arak'akbaras überzeugt hatten, entschieden wir uns zu
gehen.
Mein Tipp: Wenn ihr Goodies wollt, geht auf andere Messen.
Wenn ihr Bücher wollt, die ihr wirklich lesen könnt, geht in die Buchhandlung,
aber wenn ihr kleine fette Mädchen mit Persönlichkeitsstörungen, in bunten Kostümen und mit unrealistischen Waffen
sehen wollt, nur zu. Geht auf die Buchmesse. Ich werde auch da sein, ich
cosplaye Nicola Beer.
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