Rechtschreibung geht den Bach runter ?







In einer Studie an mehreren Grundschulen wurde gezeigt, dass Kinder heutzutage tatsächlich schlechter in Rechtschreibung sind als früher.

In den Jahren 1972, 2002 und 2012 wurde Grundschülern an verschiedenen Schulen in
Nordrhein-Westfalen ein Film gezeigt, in dem drei Jungen einem Mädchen die Puppe
wegnehmen und sie sich gegenseitig zuwerfen bis eine Frau vorbeikommt und die
„Lümmel“ rügt. Anschließend sollten die Kinder über den Film schreiben; es waren keine
inhaltlichen Grenzen gesetzt. Bei der Auswertung zeigte sich, dass Kinder heute wirklich mehr Fehler machen als früher: 1972 waren es im Durchschnitt 6,94 Fehler, 2002 12,26 und 2012 sogar 16,89 pro hundert Wörter! Dabei waren auch die „Klassen-Unterschiede“ deutlich verschoben. Letztes Jahr machten mehrsprachig aufwachsende kaum mehr Fehler als Kinder, die einsprachig aufwachsen, während dieser Unterschied 1972 wesentlich größer war. Doch besonders gravierend ist der Unterschied, der sich bei den
bildungsfernen Schichten zeigt: Machten Kinder aus Arbeiter-Familien1972 noch
durchschnittlich 7,23 Fehler, waren es 2012 stattliche 20,47. Dies gibt Wolfgang Steinig,
dem Germanistik-Professor und Initiator dieser Studie zu denken, da es ein klares Indiz
dafür ist, dass schwächeren Schülern (wenigstens in Nordrhein-Westfalen) nicht
ausreichend geholfen wird.

Generell lässt diese Studie Bedenken in zweierlei Hinsicht zu: Einerseits scheinen
Schulen/Lehrer heutzutage etwas falsch zu machen, wenn sich derartig schlechte
Ergebnisse feststellen lassen. Tatsächlich legen heute viele Lehrer scheinbar mehr Wert
aufs Lesen, denn aufs Schreiben, so Schulforscherin Renate Valtin. Es gälte oftmals die
Devise „Schreib, wie du sprichst, den Rest lernst du später“. Außerdem kann man
befürchten, dass auch Chat, E-Mail und SMS, die sich heute (oft schon bei den Kleinen)
großer Beliebtheit erfreuen, nicht ganz unschuldig an den veränderten Fähigkeiten sind.

Nicht nur, dass die Kinder schon von den Eltern vorgelebt bekommen, dass
Rechtschreibung da nicht so wichtig ist, auch der Stil, in dem einige der Aufsätze verfasst
waren, deutet darauf hin, dass manche Kinder nicht dazu in der Lage sind, zwischen Mail-
Verkehr und Schularbeit zu unterscheiden. Interessierte und Schockierte können sich auch
einige Beispiele auf

http://www.spiegel.de/fotostrecke/rechtschreibstudie-leseproben-ausdrei-
jahrzehnten-fotostrecke-94913.html

ansehen.



Vermutlich geht es vielen andern nicht so, aber ich empfinde nahezu physische
Schmerzen beim Lesen solcher Texte, die leider selbst in der Oberstufe in ähnlicher Form
keine Seltenheit sind. Ich halte diese Entwicklung für erschreckend. Ohnehin kein
Befürworter des Handy-, Tablet- und Was-weiß-ich-nicht-was-für-technische-Spielereien-
Trends, scheint mir das ein weiterer Hinweis darauf zu sein, dass da schleunigst was
getan werden muss.

Abmildernd muss trotzdem gesagt werden, dass sich nicht nur in der orthografischen
Qualität der Texte eine deutliche Veränderung zu erkennen war, sondern dass sich auch
der Stil der 1972er-Schüler von dem der 2002er- und 2012er-Schüler unterscheidet:
Berichteten die Kinder 1972 noch vom Geschehen, erzählten die Kinder 2002 eher und
kommentierten die Schüler 2012. Das zeigt eine fortschreitende Aufklärung; die Kinder
können sich heute scheinbar früher Urteile bilden und/oder diese selbstbewusster
verkünden. Fraglich ist nur, ob diese positive Entwicklung auf Kosten der Rechtschreibung
geschehen darf, beziehungsweise wie man das verhindern könnte.

Ob sich das Kultusministerium dafür ausnahmsweise mal was Sinnvolles ausdenkt? Man
darf gespannt sein!

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